Wissenschaft
Moshé Feldenkrais entwickelte die Feldenkrais Methode auf der Basis seiner eigenen Beobachtungen und Erfahrungen, aber auch auf den zu seiner Zeit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen – unter anderen in den Bereichen der Neurowissenschaften, der Entwicklungspsychologie, der Biomechanik, des motorischen Lernens und der Kybernetik (Russell 2020). Was Moshé Feldenkrais früh in seinen Büchern über die Neuroplastizität schrieb, wurde später durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt, weswegen ihn Norman Doidge in seinem Buch «Wie das Gehirn heilt» (2015) als einen der ersten Neuroplastiker beschreibt und ihm rund 100 Seiten seines hochaktuellen Buches widmet.
Dr. Esther Thelen, Pionierin in der Erforschung der motorischen Entwicklung des Kindes, konnte zudem in den 80er Jahren das belegen, was Feldenkrais schon 1948 behauptete: Jedes Kind lernt das Gehen durch Versuche und Fehler, ganz individuell, und nicht durch ein für alle menschlichen Wesen identisches Programm (Thelen & Smith 1996). Dr. Esther Thelen war so angetan von Feldenkrais’ Weitblick, dass sie selbst die Feldenkrais Ausbildung machte.
Auch bleibt die Feldenkrais Methode mit ihren Grundannahmen zur Bedeutung der Selbstwahrnehmung und der Einheit von Körper und Geist, dem sogenannten Embodiment aktueller denn je (Damasio 2021, Van der Kolk 2014, Varela et al. 2017, Clark et al. 2015, Farb et al. 2015, Hauf & Libertus 2017, Glenberg 2010, Barrett 2011, Fogel 2018).
Aktueller Forschungsstand
Seit ihrer Begründung wurde die Feldenkrais Methode in ihrer Wirksamkeit erforscht. Systematische Übersichtsarbeiten für verschiedene Anwendungsbereiche wurden von Hillier und Worley (2015) sowie von Stephens und Hillier (2020) erstellt. In ihrer Arbeit kommen Stephens und Hillier (2020) zum Schluss, dass die Feldenkrais Methode zur Verbesserung der Mobilität (Gleichgewicht) und in der Schmerzbehandlung wirksam ist. Zudem gibt es vielversprechende Evidenz, dass die Feldenkrais Methode zu einer effektiveren Bewegungsweise führt und das persönliche Wohlbefinden erhöht (Hillier & Worley 2015). Generell schlussfolgern Hillier und Worley (2015), dass die Effekte der Feldenkrais Methode durch Lernprozesse vermittelt werden, die sich vorteilhaft auf die Selbstwirksamkeit, die Körperwahrnehmung und das Selbstbild auswirken.
Eine erst kürzlich erschienene systematische Übersichtsarbeit zur Beurteilung des Nutzens für Personen, die für eine physiotherapeutische Anwendung in Frage kommen, kommt zu einer ähnlichen Beurteilung. Nämlich, dass die Feldenkrais Methode bei älteren Personen die Beweglichkeit, das Gleichgewicht und die Lebensqualität verbessert. Bei Personen mit chronischen Rückenschmerzen führt die Feldenkrais Method zu ähnlichen Verbesserungen, wie eine Standard-Rückenschulung oder Stabilitätsübungen. Bei Nackenschmerzen könnte die Feldenkrais-Methode sogar wirksamer sein als die Standardbehandlung einer Physiotherapie. Ausserdem sei die Feldenkrais Methode effektiv bei der Verbesserung des Gleichgewichts bei Menschen mit neurodegenerativen Erkrankungen. Die Studienlage sei vielversprechend, jedoch ist die Anzahl hochqualitativer randomisierter Kontrollstudien mit genügender Teilnehmerzahl je Indikation gering, weswegen eine abschliessende Beurteilung aufgrund der Studienlage zurzeit noch nicht möglich ist (Berland et al. 2022).
- Bis heute (Stand Juli 2022) wurden 32 randomisierte Kontrollstudien zur Wirksamkeit der Feldenkrais Methode in verschiedenen Bereichen durchgeführt: Liste
- Zur Anwendung der Feldenkrais Methode in den kreativen Bereichen Musik, Tanz und Theater wurde 2021 ein sehr empfehlenswertes Buch von Robert Sholl herausgegeben worden: Hier
- Wie genau die Feldenkrais Methode wirkt, ist aktueller Forschungsgegenstand. Für eine erste Annäherung an die komplexe Wirkungsweise der Feldenkrais Methode eignet sich das Paper von Roger Russell (2020): Perspectives on the Feldenkrais Method
- Der Schweizerische Feldenkrais Verband unterstützt und fördert die Bestrebungen, die Wirksamkeit und Wirkungsweise der Feldenkrais Methode in hochqualitativen Studien zu Erforschen. «More research is needed!»
Feldenkrais Research Journal und Datenbank
Die International Feldenkrais Federation (IFF) unterstützt die Forschung zur Feldenkrais Methode® sowie die Sammlung und Verbreitung von Informationen über relevante wissenschaftliche Publikationen zum Nutzen der internationalen Gemeinschaft. Sie tut dies durch das Feldenkrais Research Journal und eine frei zugängliche Feldenkrais Referenzdatenbank.
Das Feldenkrais Research Journal ist eine internationale, interdisziplinäre Zeitschrift, die sich mit Forschungsfragen im Zusammenhang mit dem Berufsfeld Feldenkrais und somatisches Lernen befasst. Das Journal strebt innerhalb des Berufsfeldes einen Dialog über Forschung an sowie in der Wissenschaft einen Dialog mit Wissenschaftlern über ihre Praxis.
Aktuell sind die Volumes 1 – 6 online verfügbar:
Feldenkrais Research Journal
Literaturliste
- Barrett, L. (2011). Beyond the brain. Princeton University Press.
- Berland, R., Marques-Sule, E., Marín-Mateo, J. L., Moreno-Segura, N., López-Ridaura, A., & Sentandreu-Mañó, T. (2022). Effects of the Feldenkrais Method as a Physiotherapy Tool: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. International Journal of Environmental Research and Public Health, 19(21), 13734.
- Clark, D., Schumann, F., & Mostofsky, S. H. (2015). Mindful movement and skilled attention. Frontiers in Human Neuroscience, 9, 297.
- Damasio, A. (2021). Feeling & knowing: Making minds conscious. Pantheon.
- Doidge, N. (2015). Wie das Gehirn heilt: neueste Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. Campus Verlag.
- Farb, N., Daubenmier, J., Price, C. J., Gard, T., Kerr, C., Dunn, B. D., Klein, A.C., Paulus, M.P Mehling, W. E. (2015). Interoception, contemplative practice, and health. Frontiers in psychology, 6, 763.
- Fogel, A. (2018). Selbstwahrnehmung und Embodiment in der Körperpsychotherapie: Vom Körpergefühl zur Kognition-Deutsche Übersetzung und Bearbeitung von Helmi Boese. Klett-Cotta.
- Glenberg, A. M. (2010). Embodiment as a unifying perspective for psychology. Wiley interdisciplinary reviews: Cognitive science, 1(4), 586-596.
- Hillier, S., & Worley, A. (2015). The effectiveness of the feldenkrais method: a systematic review of the evidence. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine, 2015.
- Libertus, K., & Hauf, P. (2017). Motor skills and their foundational role for perceptual, social, and cognitive development. Frontiers in psychology, 8, 301.
- Merzenich, M. (2012). Dr. Michael Merzenich on Neuroscience, Learning and the Feldenkrais Method, https://www.youtube.com/watch?v=rupZ-wlRdA0, Access: 14.03.2022
- Russell, R. (2020). Perspectives on the Feldenkrais method. Kinesiology Review, 9(3), 214-227.
- Sholl, R. (Ed.). (2021). The Feldenkrais method in creative practice: dance, music and theatre. Bloomsbury Publishing.
- Stephens, J., & Hillier, S. (2020). Evidence for the effectiveness of the Feldenkrais method. Kinesiology Review, 9(3), 228-235.
- Thelen, E., & Smith, L. B. (1996). A dynamic systems approach to the development of cognition and action. MIT press.
- Van der Kolk, B. (2014). The body keeps the score: Mind, brain and body in the transformation of trauma. Penguin UK.
- Varela, F. J., Thompson, E., & Rosch, E. (2017). The embodied mind, revised edition: Cognitive science and human experience. MIT press.